Reinen Tisch machen: Was eine japanische Lehre, aber keine südwestfälische Mutter erreicht!
Vor dem Jahr 1800 gab es noch keine unterschiedlichen Schuhe für linke und rechte Füße. Ging auch! Geht aber besser, seit man seine Füße passender sortiert. Soll heißen: Optimieren durch Neuanordnung geht eigentlich immer. Gerade heute in unserer doch schnelllebigen Zeit! Probieren Sie es aus.
So spricht ein Bekaizte. Eine Bekehrter. „Büro-Kaizen“ ist der Name eines Konzepts zur Büroorganisation, mit der Vorgänge im normalen Schreibtisch-Tagesgeschäft schneller, simpler und unaufgeregter klappen, „Kaizen“ kommt aus dem Japanischen und reimt sich nicht auf „beizen“, sondern spricht sich etwa „Kai-sänn“ (von „Kai“ = „Veränderung“ und „zen“ = „Besseren“). Kaizen ist mehr oder weniger die coolere Variante der Ermahnung einer südwestfälischen Mutter an ihre Kinder jedes Spielzeug, das der Nachwuchs benutzt hat, immer sofort zurück in die Spielzeugkiste zu räumen, denn dann sei das Kinderzimmer niemals unordentlich.
Ein bisschen komplexer ist die Veränderung zum Besseren aber schon. Nicht nur theoretisch. Und ich kann sagen: Es schmerzt am Anfang. Denn Schritt eins des Kaizens besteht darin, alles Unnötige zu identifizieren und leidenschaftslos zu entfernen. Das fängt bei platzraubender Dekoration und dem doppelten Klebestift an und hört beim Sudoku-Heft und all den lieb gewonnenen Utensilien nicht auf. Sämtliche Schubladen, Regale, Ablageflächen werden gnadenlos auf Einsparpotenzial überprüft. Privates hat hier nicht länger etwas zu suchen, Unnützes wird weggeworfen oder im Archiv beziehungsweise Keller verbannt. Dort behält es allerdings keinen dauerhaften Platz: Hat man es innerhalb eines festgelegten Zeitraums immer noch nicht benötigt, wirft man es gnadenlos weg. Ein Kaiz-Bekehrter notiert das potenzielle Entsorgungsdatum und wird streng auf das Verfalldatum achten. Wehren ist übrigens zwecklos: ,, Aber diese herzförmigen Büroklammern in Übergröße habe ich doch mal zu Weihnachten geschenkt bekommen!“ Vorgabe für die Zukunft: Klimbim, egal woher er stammt, wird nie wieder etwas am Arbeitsplatz zu suchen haben.
Schritt zwei des Vorgangs ist nicht minder hart: Abläufe optimieren. Das bedeutet auch: schlechte Angewohnheiten ablegen. Kaiz-Coache versichern, dass an dieser Stelle jeder von ihr Bekaizte versuchen, sich mit Argumenten, Trotz und betteln zu wehren. Jeder Gegenstand, mit dem man sich befasst, darf nämlich nur noch genau so oft Aufmerksamkeit bekommen, wie unbedingt notwendig ist. In der Praxis heißt das zum Beispiel: Ablagekörbe sind von nun an verboten. Das, was bislang zunächst dort hinein wanderte und aufs Einsortiertwerden („Bei Gelegenheit!“) wartete, kommt von nun an immer sofort an den Platz, an den es gehört. Auf diese Weise, so schwören Kaizende und Bekaizte, räumt man nur dieses eine Mal auf, aber danach niemals wieder. Dieses Dogma könnte, und da bin ich sicher, von meiner südwestfälischen Mutter stammen!
Übrigens: In Unternehmen, die sämtliche ihrer Büro-Arbeitsplätze kaizen ließen, spricht man dank seltener Suchen, besser aufeinander eingespielte Teams und schnelleren Informationsflusses von 10 bis 30 Prozent eingesparter Zeit im Tagegeschäft. Klare äußere Strukturen beim Arbeiten schenken viel mehr Ausgeglichenheit. Verraten Sie das aber nicht meiner Mutter. Ich habe nämlich Angst vor ihrem breiten südwestfälischen „Siehste!“.